Play Vanilla - feminine Seiten für Videospiele
22.01.2011 · 4 Kommentare
Oben: Die Zeitschrift Play Vanilla erschien 2007 zum ersten Mal. (Bild: Computec Media)
Jeder der sich ernsthaft mit Videospielen beschäftigt und dabei ausgiebig Konsolen, Module oder Fachzeitschriften sammelt,
wird durch sein Hobby zwangsläufig leicht voreingenommen. Das liegt einfach
in der Natur der Sache. Schließlich hat man in all den Jahren auch einiges erlebt. Überraschungen gehören längst
der Vergangenheit an. Beim Anblick neuer Spiele empfindet man keine großartigen Emotionen mehr.
Genau wie in Nenas Song „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ ist ja alles schon einmal da gewesen.
Dachte ich zumindest.
Deshalb staunte ich nicht schlecht, als ich im Mai 2007 zum ersten Mal eine absolut neuartige Zeitschrift
in den Händen hielt. Dieses Magazin präsentierte sich vollkommen anders als die mir bekannte Literatur.
Das Konzept war ausschließlich für Frauen bestimmt!
Gaming & Trends nur für Frauen?
- Engelchen und Opfer - Eigenwerbung in der Play Vanilla. (Bild: Computec Media)
Sollten die Medien also am Ende doch recht behalten? Man hörte ja schon öfters von dieser seltsamen neuen Spezies:
begeistere weibliche Videospieler. Mir war das ziemlich suspekt, bis dahin hatte ich noch nie einen
echten weiblichen Fan getroffen. Auch wenn Mädchen ab und zu einen Controller in die Hand nehmen,
mit purer Begeisterung für das Genre hat das noch lange nichts zu tun. Konnte also typische Frauensoftware
wie Mein Ponyhof, Singstar oder Die Sims tatsächlich die Situation derart verändern?
Gehörte das weibliche Geschlecht jetzt wirklich zur konsumrelevanten Zielgruppe für Videospiele?
Neugierig öffnete ich die Play Vanilla... Als erstes viel mir natürlich sofort das trendige Pocketformat im Hochglanzdruck auf.
Passend für die Handtasche hob sich das neue Magazin überraschend positiv vom allgemeinen Einheitsbrei der DIN A4 Zeitschriften ab.
Und der Inhalt? Ganz offensichtlich erfüllte die Play Vanilla alle charakteristischen Merkmale,
die man von einer Illustrierten erwarten konnte.
Videospiele mit Milch und Zucker
Neben Beiträgen über Lieblingsspiele weiblicher Promis, nützliche Accessoires in modischen Trendfarben,
enthielt das Heft so anspruchsvolle und geistreiche Artikel wie: „Welches Möbelstück passt am besten
zu meiner PS3“ oder „die schönsten mit Schmuck besetzten Kopfhörer für unterwegs“.
Somit drehte sich auch bei den Webadressen oder Werbeanzeigen fast alles um Styling, Schmuck und Dekoration.
Ohne Frage versuchte die Redaktion damit den Anspruch der weiblichen Konsumenten gerecht zu werden.
Ebenfalls fand sich eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Spielen, bei denen Tiere mit Stofftier-Charakter
die Hauptrolle spielten. Pferde, Hunde, Katzen und Bärenwelpen, alle Arten mit treuherzigen Kulleraugen
waren vertreten.
Auch „Er“ durfte nicht fehlen, der KNUTschige kleine Eisbär aus dem Berliner Zoo.
Eine ganze Seite über den kleinen weißen Tollpatsch, welche Frau konnte dazu schon nein sagen?
Eisbären-Memory und Bonbons streuen, damit Knut sie aufschlecken kann. Sind das Spiele die sich weibliche Gamer wünschen? (Bild: Computec Media)
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Kurios zeigte sich die Platzierung im Verkaufsregal. Die Play Vanilla fand sich nicht wie
man allgemein vermuten würde im Bereich der Computer- und Videospiele, sondern bei all den anderen
Frauenzeitschriften, irgendwo zwischen Beauty & Wellness, Promiklatsch und Kochrezepten.
Männer konnten dieses Magazin also gar nicht finden. Das Cover verwies auch nicht gerade
auf eine Spielezeitschrift, zeigte die handelsüblichen Modelgesichter,
höchstens am Rand erblickte der Leser mal ein Nintendo DS oder Wii Controller.
Splatter-Warnungen für Casual-Gamer
Die Werbeanzeigen für die Play Vanilla waren zwar witzig gemacht, hatten aber eindeutig
zu wenig Anspielungen auf die neue Zielgruppe. Und noch ein Novum aus dem Magazin:
die sogenannte „Splatter Warnung“ treibt Männern zweifellos ein leichtes Grinsen ins Gesicht.
Warum sollte man The Elder Scrolls IV unbedingt mit einer „Splatter Warnung“ versehen? Dies wäre wohl in keinem anderen Spielemagazin vorgekommen. (Bild: Computec Media)
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Inhaltlich lag der Schwerpunkt der Play Vanilla auf den sogenannten Casual-Games.
Konsolenspiele wie Guitar Hero, Wii Sports oder DS-Knobelspiele standen eindeutig im Rampenlicht.
Ab und zu fand sich ein Beitrag über Bestseller wie Asassin's Creed, natürlich nicht ohne einen Verweis
auf Jade Reynolds, der erfolgreichen Programmiererin hinter dem morbiden Spiel. Die Redaktion bestand
nicht nur aus einer Damenmannschaft. Auch zwei männliche Vertreter gehörten zur Vanilla-Crew.
Die Redaktion der Play Vanilla. (Bild: Computec Media)
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Keine Zeitschrift für Männer!
Einige Monate später hatte ich ein weiteres aufschlussreiches Erlebnis mit der Play Vanilla.
Zufällig stellte damals gerade die deutschsprachige Ausgabe der Zeitschrift Edge ihr monatliches
erscheinen bei uns ein. Als Abonnementnehmer erhielt ich kurzer Hand einfach ungefragt ein anderes Heft
als Ersatz geliefert, die Playzone. Da ich kein Freund von Singleformat-Zeitschriften bin und auf
Heft-DVDs gut verzichten kann, rief ich den Verlag an um mich darüber zu beschweren. Eine freundliche
Frauenstimme sagte mir, dass ich für meinen Abo-Restbetrag gerne auch eine andere Zeitschrift bekommen könnte.
Sehr großzügig! Sie zählte mir kurzerhand einige Zeitschriften auf, für mich war leider kein interessanter
Titel mit dabei. Aber halt, war die Play Vanilla nicht vom gleichen Verlag?
Auf meine Rückfrage hin bekam ich probt als Antwort: „Die Play Vanilla ist doch nur für Frauen!“
Keine Ahnung warum, aber ich fühlte mich in dem Moment als hätte mich eine Verkäuferin gerade alleine
in der Abteilung für Damenunterwäsche erwischt. Wer als Mann die Play Vanilla ließt fällt also aus dem Rahmen!
Zockerweibchen dürfen aber ungefragt unsere harten Videospielzeitschriften lesen. Typisch Emanzipation,
was soll MANN dazu noch sagen?
Was Frauen wirklich wollen ...
- Besonders erwähnenswert ist die Kolumne auf der letzten Seite. Dort schrieben meist männlichen Redakteure witzige Artikel über berühmte Frauen-Klischees. (Bild: Computec Media)
... ist sicher nicht exzessives Videospielen. Nach nur fünf Ausgaben stellte der Verlag das innovative Magazin
wieder ein. Dieses schnelle Ende überraschte mich nicht besonders. Im Gegenteil, es hätte mich sogar gewundert,
wenn Frauen wirklich all ihre Vorurteile gegenüber dem interaktiven Medium plötzlich verlieren würden.
Das sie dann noch fanatisch und voller Begeisterung damit spielen? Wäre ja fast so als wenn die Hölle gefriert.
Fazit
Die Play Vanilla bleibt ein mutiger Versuch weibliche Casual-Gamer
mit einem zeitgemäßen Fachmagazin zu versorgen. Ihr modischer Style präsentierte sich für Frauen
sicher ansprechend, über die inhaltliche Qualität lässt sich hingegen streiten. Das Heft erschien alle
zwei Monate von Mai 2007 bis Februar 2008. Der Preis lag anfangs bei 1,90 Euro, änderte sich später auf 2,50 Euro
und war mit 3,90 Euro für die letzte Ausgabe eindeutig zu teuer. Mir bleibt die Play Vanilla durchaus
in guter Erinnerung und erhält aufgrund Ihrer Einmaligkeit einen Ehrenplatz in meiner Sammlung.
Allerdings in einem schicken farbigen Ordner, den ich dafür extra aus dem Fundus meiner Tochter entnommen habe.
Aber genau auf solche kleinen Details kommt es ja gerade an, dass sagt jetzt zumindest
meine neue feminine Seite in mir. Auch wenn der erwünschte Erfolg ausbliebt, so kann man der Play Vanilla eine Auszeichnung
nicht mehr streitig machen. Sie ist und bleibt für immer das erste deutsche Videospiel-Magazin speziell
für Frauen. Vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif für so eine verrückte Idee.
Warten wir also einfach mal ab was uns die Zukunft bringt. Bis die Hölle gefriert!
Play Vanilla - Überblick der fünf erschienen Ausgaben
Zum Abschluss findet ihr nun einen kurzen Überblick über die Cover der fünf erschienen Ausgaben.
Die erste reguläre Heftausgabe der Play Vanilla erschien im Mai / Juni 2007
an den Zeitungsständen. Die letzte Ausgabe im Januar / Februar 2008.
Danach wurde das innovative Frauenspielemagazin ersatzlos eingestellt.
Play Vanilla, Ausgabe 1. (Bild: Computec Media
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Play Vanilla, Ausgabe 2. (Bild: Computec Media)
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Play Vanilla, Ausgabe 3. (Bild: Computec Media)
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Play Vanilla, Ausgabe 4. (Bild: Computec Media)
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Play Vanilla, Ausgabe 5. (Bild: Computec Media)
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Guido Frank · 22.01.2011
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- Guido Frank
Meine Begeisterung für Videospiele entstand irgendwann Ende der 1970er Jahre,
als ich als kleiner Knirps (Jahrgang 1968) erstmals den großen schillernden Spielautomaten
gegenüberstand. Sofort erlag ich der Faszination, die solche Geräte auf mich ausübten.
Es folgte der typische Lebenslauf wie für viele Jugendliche der Generation Pong.
Nach dem Kauf einer eigenen Konsole nahm ich ab 1983 aktiv an der Atari VCS Bundesliga teil,
der weltweit ersten überregionalen Gemeinschaft von Videospielern.
Mit dem Commodore 64 erlebte ich die frühe Ära der Homecomputer und
wurde dabei langsam erwachsen. Später hieß dann meine beste Freundin
Amiga 500. Das Interesse an dem unterhaltsamen Medium hat mich seit
damals nicht verlassen. Mit unserer Arbeit möchten wir erreichen,
dass diese aufregende Pionierzeit nicht einfach in Vergessenheit gerät.
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am 02.03.2015 um 12:53 Uhr
Dass die "Play Vanilla" am Markt gescheitert ist, lag mit Sicherheit nicht an einem spezifisch weiblichen Desinteresse am Medium Spiel, sondern an mangelnder Kauffreudigkeit, die sich allein auf dieses spezielle Format bezog. Aus Prinzip nichtsdestoweniger Ersteres zu attestieren, ist kurzsichtig und lethargisch, weil anstelle einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema nur ausgediente Klischees bedient werden. Das ist schade, insbesondere für mich als Spielerin, die sich durch ihre Einordnung als Eisbären-Memory-Fan bzw. neurotischer Interior-Design-Nerd und die zeitgleiche Negation ihrer bloßen Existenz gleich mehreren Auslösern eines extrem faden Beigeschmacks ausgesetzt sieht.
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am 02.03.2015 um 12:52 Uhr
[Kommentar kommentieren]
am 11.07.2014 um 19:09 Uhr
[Kommentar kommentieren]
am 11.07.2014 um 20:48 Uhr (neuester)