Ein fast vergessener Datenträger für Videospiele
18.04.2007 · 4 Kommentare
Oben: Videospiele auf Kassetten? Ja, das gab es wirklich! (Bild: René Achter, 3DPeek)
Wie habt ihr euer erstes Videospiel gestartet? Von einer DVD? Oder gar über ein Steckmodul?
Was bei vielen Handhelds heute noch üblich ist, hat eine lange Tradition. Und dass
Konsolenspiele von einem Silberling gestartet werden, ist ebenfalls nichts Neues. Aber das war nicht immer
so. Beim Vorläufer des heutigen PC, dem Heimcomputer, gab es noch ganz andere
technische Möglichkeiten.
Denn dort kamen, vor der Epoche der Disketten, handelsübliche Compact Cassetten
(auch Audiokassetten, Kompakt-Kassetten oder einfach nur „Tapes“ genannt)
zum Einsatz. Das wird sicher nicht mehr jedem Leser geläufig sein.
Deshalb blicken wir nun zurück auf die „großen Tage der Compact Cassette“.
Die Audiokassette war ein kleines und unscheinbares, aber einst sehr wichtiges Stück
Kunststoff. Zu einer Zeit in der es noch keine DVDs, USB-Sticks oder gar
weltweite Online-Netzwerke gab, war die Kassette das am häufigsten genutzte
Speichermedium für Musik in den Privathaushalten.
In der goldenen Ära der Heimcomputer, die von ungefähr von 1980 bis 1995 andauerte, war sie gleichwohl
ein Standardmedium für die Speicherung von Computerprogrammen. Wie aber kam es dazu? Und wie funktionierte das?
- Verschiedene Steckmodule für den C64 von 1983. (Bild: André Eymann)
Nachdem bei den bereits schwindenden Videospielkonsolen überwiegend Steckmodule
(auch Cartridges genannt) zum Einsatz kamen, bot die Kassette verschiedene neuartige Vorteile in der Verbindung
mit dem aufstrebenden Heimcomputer. Dennoch kamen Steckmodule auch weiterhin bei Heimcomputern zum Einsatz. Das Softwareangebot reichte
hier von Schreibprogrammen bis zu komplexen Videospielen. Der Nachteil der Steckmodule war allerdings,
dass sie in der Regel nur ein einziges Programm enthalten konnten, das unveränderbar auf ihnen
festgeschrieben war. Außerdem waren sie im Vergleich
zu einer Kompakt-Kassette recht teuer. So kosteten Module im Durchschnitt etwa 20 DM pro Stück.
Der Vorteil der Module hingegen, war die sofortige Verfügbarkeit des Programms durch schnell
auslesbare Speicherchips.
Die großen Tage der Compact Cassette
Einer der vielen Vorteile der Kassette war es,
dass man sie in jedem Kaufhaus kaufen konnte und dass die nicht besonders teuer war.
Eine Kassette von guter Qualität kostete etwa 5 DM. Günstigere
Ausführungen konnte man bereits für unter 2 DM kaufen. Außerdem
war man den grundsätzlichen Umgang mit der Musikkassette bereits von der heimischen
Stereoanlage oder dem Kassettenrecorder gewohnt.
Aber noch etwas ganz anderes entwickelte sich durch den vermehrten Einsatz der Kassetten.
Durch die einfache Möglichkeit des heimischen Vervielfältigens der Softwareprogramme
auf Kassetten entwickelte sich ein ganz neues Problem. Das sogenannte „Raubkopieren“.
Diesen Effekt gab es kurze Zeit später auch in massiver Form beim Nachfolger der Kassette,
der Diskette. Bis zum heutigen Tage kämpft die Videospielindustrie gegen Raubkopierer.
Es war also schon damals ziemlich logisch, dass das Festschreiben
und Schützen der Programme durch den Hersteller von der Industrie
als Vorteil gesehen wurde. So verdienten die Hersteller und
Anbieter durch den Verkauf ihrer Originale viel Geld.
Die einfache Möglichkeit des Kopierens hingegen bedeutet einen oft radikalen
Verlust dieses Gewinns.
- BASIC-Code für den Sinclair ZX81 von 1981. (Bild: Sinclair)
Heimcomputer waren mehr als nur Videospielkonsolen. Sie hatten in der Regel
eine echte Schreibmaschinentastatur, auch wenn diese wie beim ZX Spectrum von Sinclair
aus Schaumgummitasten bestand, und waren dafür vorbereitet selbst
geschriebene Computerprogramme ablaufen lassen zu können. Die wohl bekannteste
Computersprache hierfür war BASIC (engl. Beginner's All-purpose Symbolic Instruction Code).
Der Programmcode von BASIC ist der englischen Sprache sehr ähnlich
und somit für die meisten Menschen leicht erlernbar. Zudem reichte der
Befehlssatz für die in der Regel zeichenorientierten Programme aus.
Auf der rechten Seite ist ein Beispiel für ein einfaches BASIC-Programm abgebildet.
Es wurde 1981 für den Heimcomputer ZX81 von Sinclair geschrieben und stammt aus dem Handbuch des ZX81. Weil die
Programmiersprache BASIC deutlich an das Englische angelehnt ist, kann sogar jemand ohne
Computererfahrung lesen und verstehen, wie das Programm ungefähr arbeitet.
Der Programmtext (engl. Code) verdeutlicht die Verwendung von Bedingungen
wie IF (deutsch: wenn) und so genannten Sprungmarken wie GOTO (deutsch: gehe zu).
Beide Elemente halfen BASIC flexible Programme formulieren zu können und macht die Sprache
bis heute zu einer beliebten Programmiersprache.
Obwohl die Sprache BASIC bereits 1964 entwickelt wurde, ist sie noch immer im Einsatz.
So lebt sie in den aktuellen Produkten von Microsoft (Office)
als Visual Basic in Form einer weiterentwickelten Sprachversion
des ursprünglichen BASIC weiter.
Verewigt auf dem Bandlaufwerk
In BASIC gab es Befehle wie LOAD oder SAVE, die es dem User ermöglichten, den Arbeitsspeicher RAM (engl. Random Access Memory)
des Computers über einen entsprechenden Aus- und Eingabekanal (Schnittstelle) in Form von Audiosignalen auszugeben
und diese ebenso wieder in den Computer einzulesen.
Ein Atari 800 XL Heimcomputer von 1983 mit einem angeschlossenen Kassettenlaufwerk. (Bild: Atari)
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An der Schnittstelle des Heimcomputers konnte der User einen
handelsüblichen Kassettenrecorder anschließen, um die
ausgegebenen Daten auf einer Kassette zu speichern. Durch diese Möglichkeit
konnten nun alle Programme, die der User am Bildschirm geschrieben hatte,
abgespeichert und zu jedem beliebigen Zeitpunkt wieder eingelesen
und erneut gestartet werden. Außerdem konnten mehrere Programme
auf einer Kassette gespeichert werden. Die Anzahl der Programme war hier lediglich
vom Speicherbedarf der Programme und der Aufnahmelänge der Kassette
begrenzt. Normale Kassetten hatten eine Kapazität von 30, 60 oder 90 Minuten.
Die Kassette konnte umgedreht werden, so dass sich die Gesamtkapazität
immer gleichmäßig auf beide Seiten verteilte. Eine 90 Minuten Kassette
hatte also 2 x 45 Minuten Aufnahmekapazität.
So erlebte das bereits bewährte Prinzip der Magnetbandspeicherung
aus der Großrechnerwelt eine weitere Einsatzmöglichkeit in den Haushalten
der Bundesbürger. Viele Hersteller boten ihre Computerprogramme
für den Verkauf auf Kassette an. So entwickelte sich in kurzer Zeit
ein großes Angebot von Videospielen auf Kassetten für alle möglichen
Heimcomputermodelle.
Ein Listing? Was ist denn das?
- Das BASIC-Listing Apfel-Kobold für den ZX Spectrum von 1984. (Bild: Markt & Technik Verlag)
Das größte Merkmal der Heimcomputer-Ära sind sicher die Listings.
Listings waren Computerprogramme in Form von meist BASIC-Programmiercode, die in Heimcomputerzeitschriften
wie der Happy Computer abgedruckt wurden
und die der User Zuhause abtippen konnte, um das Programm danach auf seinem Computer ablaufen lassen zu können.
Durch das Abdrucken der Programmquelltexte gegen entsprechende Honorare
der Zeitschriftenverlage entwickelte sich ein Wettbewerb unter den Autoren,
die nun ihrerseits Programme für alle erdenklichen Anwendungen schrieben.
So gab es von einfachen Hausgeldverwaltungen bis zum Spielhallenhit alles,
was das Userherz begehrte. Manche Publikationen wie die Zeitschriften
Homecomputer oder Computronic aus dem Tronic Verlag,
druckten sogar fast ausschließlich Listings ab und verzichteten weitgehend
auf journalistische Inhalte. Es entwickelten sich so schöne Programmnamen wie Minenboot,
Landung auf Luna oder Apfel-Kobold. Die ganze Republik
programmierte mit und es wurden unendlich viele Programmideen geboren und unter
den Lesern verteilt. Eine höchst kreative Entwicklung, die viele Jungprogrammierer
anspornte sich auch einmal in BASIC oder sogar Assembler,
eine im Vergleich zu BASIC sehr maschinenorientierte Computersprache, zu versuchen.
Alles was man benötigte war ein Heimcomputer, ein Lernbuch und ein eigene Idee.
Und schon stand der Karriere als Programmierer nichts mehr im Wege.
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am 09.09.2016 um 06:02 Uhr
https://www.save-your-music.de
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am 09.06.2016 um 22:14 Uhr
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am 23.04.2015 um 21:50 Uhr
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am 08.06.2014 um 09:05 Uhr
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