1000 Mark
03.04.2015 · 5 Kommentare
Oben: Ein Plattformer namens „Gnom“. Natürlich in BASIC programmiert. (Bild: Yoda Zhang)
Literatur - eine Sache, die zu dieser Zeit eine echte Rarität war. Wenn man etwas über den Computer lernen wollte, blieb einem nichts anderes übrig,
als einen extrem gut sortierten Zeitschriftenladen zu suchen, der amerikanische Zeitschriften führte und sich dort entweder die „Antic“,
die „Analog“ oder die „Compute!“ für teures Geld zu kaufen. Diese Zeitschriften beschäftigten sich mit den bekannten Computern,
also Apple II, TI-99, Atari usw. In jeder Ausgabe gab es mindestens ein Spiel zum Abtippen für jedes System. Es dauerte ewig,
bis man die Listings eingetippt hatte. Und es dauerte noch ewiger, bis man dann alle Fehler gefunden und das Spiel zum Laufen gebracht hatte.
Ein angenehmer Nebeneffekt war, dass ich auf diese Weise mein Englisch ziemlich verbesserte, worüber sich mein Englischlehrer sehr freute.
Weniger freuten sich meine Lehrer darüber, dass ich anfing, meine Hausaufgaben am Computer zu tippen und ausgedruckte Texte mitbrachte.
Das geht ja nicht, das muss handschriftlich gemacht werden. Ich war zu dieser Zeit der einzige Schüler, der einen Computer hatte.
Nach langem Hin- und Her bekam ich die offizielle Erlaubnis, endlich. Und dann kam irgendwann der große Tag: Die erste deutsche Videospielezeitschrift
hatte ihr Debüt: Telematch. Mit einem großen Pac-Man auf der Titelseite und Berichten über die neuesten Spiele für Atari und sogar Beschreibungen
von Spielhallenspielen. In dieser Zeitschrift las ich dann eines Tages einen Bericht über ein Spielhallenspiel Ponpoko.
Ponpoko von 1982. (Bild: Sigma Enterprises)
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Es gab nicht mal ein ordentliches Bildschirmfoto, nur eine Beschreibung des Spieles. Ein kleiner Waschbär läuft herum,
sammelt Früchte ein und hüpft über Schlangen. Das klang sehr lustig und so fing ich an, das Spiel auf meinem Atari in BASIC zu programmieren.
Nach einer Woche war das Spiel fertig und ich dachte mir: Na denen zeig' ich's. Ich schickte das Spiel an die Zeitschrift, um zu zeigen,
dass man sowas auch in BASIC programmieren kann. Natürlich sah der eigene Held nicht aus wie ein Waschbär, sondern wie ein Gnom,
wie immer. Aber das war ja egal, das Spiel funktionierte und hatte alles, was in der Beschreibung erwähnt war: Ebenen, Leitern,
Obst zum einsammeln, Krüge, Löcher und die bösen Schlangen, über die man drüberspringen musste.
Aus dem Waschbären wurde ... ein Gnom (Bild: Yoda Zhang)
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Die Zeit verging und ich war schon längst mit anderen Spielen beschäftigt und hatte die ganze Sache vergessen.
Wen interessiert schon die Hobbyspielerei eines 13-jährigen Computerkids.
Mit der Schulklasse machten wir den üblichen mehrtägigen Ausflug ins Landschulheim. Dort ist man damit beschäftigt, sich zu langweilen,
Tischtennis zu spielen und herumzunörgeln. Die anderen spielten immer Doppelkopf mit dem Lehrer. Ein Spiel das ich nicht kannte
und beim Zuschauen auch nicht durchblickte. Und erklären wollte es mir auch keiner. Ich fand das langweilig, keine Monster,
keine Kraftpillen, kein Labyrinth.
«Wen interessiert schon die Spielerei eines 13-jährigen Computerkids.»
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Und dann kam ein Lehrer an und sagte, mein Vater wäre am Telefon und wollte mich unbedingt sprechen. Was sollte das denn?
Mein Vater offenbarte mir am Telefon, dass soeben der Chefredakteur der Zeitschrift angerufen hatte und mir 1000 Mark anbot,
wenn er das Listing meines Spieles veröffentlichen durfte. 1000 Mark - das war zu dieser Zeit für einen 13-jährigen Schüler eine wahnsinnige Summe.
So wunderten sich die anderen Schüler und die Lehrer auch sehr, als ich die nächsten paar Stunden vor Aufregung brüllend
umherhüpfte und immer nur „1000 Mark, 1000 Mark“ vor mich hinblubbern konnte.
Zu dieser Zeit gab es noch keine anderen Zeitschriften mit Spielelistings in Deutschland und auch die „Telematch“ hatte bis
Dato noch kein Listing veröffentlicht. Der Chefredakteur musste wohl sehr beeindruckt von dem Spiel gewesen sein. Ich wunderte mich,
wie leicht man mit ein paar Tagen spaßigem Programmieren so viel Geld verdienen konnte.
Das spornte mich natürlich zu vielen weiteren Schandtaten an.
Yoda Zhang · 03.04.2015
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- Yoda Zhang
Yoda Zhang ist Retro-Spieleentwickler und Autor. Früher auch bekannt unter dem Namen Kemal Ezcan oder KE-SOFT (Vertrieb von Atari XL/XE Software
und dem ZONG-Magazin). Außerdem war Kemal durch seine Musik in der Atari-Szene bekannt. Und weil ihm das alles nicht genug war, programmierte er offizielle
Spielmusik im Auftrag der Atari Deutschland GmbH und veröffentlichte diese später bei Ariolasoft. Seine Kreativität und Liebe zum Videospiel drückte sich auch
in den Titeln seiner Werke aus. So entstanden Spielenamen wie Tecno-Ninja, Zebu-Land, Quadermania, Königsdiamanten, Das Geheimnis der Osterinsel oder
Geisterschloss. In seinem Buch Gulp Splat Zong, Untertitel: Videospiele & Computermusik, läßt er seine eigene Geschichte Revue passieren.
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am 14.06.2015 um 01:04 Uhr
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am 15.06.2015 um 00:07 Uhr (neuester)
am 18.04.2015 um 20:38 Uhr
Ja, das Buch gibt es ab sofort in 2. Auflage, komplett in Farbe und mit Fotos. Zum gleichen Preis.
Gruß, Yoda
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am 18.04.2015 um 14:42 Uhr
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am 07.04.2015 um 22:03 Uhr
Siehe Link hier
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